Abendavenue

Die Straße ist von Klängen überstrahlt,
Bewachsen von Phantasmen des Geruches,
Und Hüften in den Hülsen blauen Tuches,
Das aller Schritt zu Reiz zermalmt und mahlt.

Die Dirnen kommen, knarrend, Wollustfuder,
Und Bürgermädchen, die mit Reizen knausern;
Jungfräulein die, und andern, die schon mausern,
Gleitet ein Scharlachlächeln in den Puder.

Teufel! Wir werden wie die Pelikane
– Wenn diese Mädchen uns mit Blicken füttern,
Gierig nach den Konturen und Profilen,

Die alle kommen, einzeln, momentane,
Und aus den fetten Rücken, aus den Müttern,
Bisweilen leise nach uns Jungen schielen.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 17 (23. April)


Avenue du soir

La rue de sons irradiée,
Couverte d’odeurs phantasmées,
Et de hanches dans des étuis bleus roi
Que pour séduire, chaque pas moud et broie.

Les filles de joie arrivent, grinçantes, foudres
De volupté, et de jeunes bourgeoises décentes,
Elles et d’autres qui muent déjà, adolescentes.
D’écarlates sourires glissent dans la poudre.

Diable ! Comme les pélicans nous deviendrons,
Gavés des regards de ces fillettes,
Avides de contours et de silhouettes.

Elles passent toutes, seules, un instant
Et, d’entre les dos gras de leurs mamans,
Parfois, silencieuses, jettent un oeil vers nous, les garçons.

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

Lektüre

Schwer wird‘s zu lachen und nicht auszuspein,
Weil alle Herzen pökeln in den Brüsten.
Ach, ich will Galle haben! Ich will mich entrüsten!
Schmeißt doch die Dichterschädel ein!

Zech, Bab, Lissauer – macht doch ein Pogrom!
Schleift doch ein Messer für die fetten Gurgeln!
Gott schenke sie doch den Chirurgeln
Mit einem Kehlkopfkarzinom.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 16 (16. April)

Erläuterungen:
Zech, Bab, Lissauer.  Paul Zech (1881 – 1946),
Julius Bab (1880 – 1955) und Ernst Lissauer (1882 – 1937), Schriftsteller mit ausgeprägten Hang zum Patriotismus.

Mondschein [Prosa]

Abends; – abends lachten die Wälder. Rotes Lachen. Die jungen Bäume liebten sich. Der Osten glänzte schwarz. Der Mond schritt durch des Ostens Dunkelheit. Weit umher verlor er Licht. Die Nebel leuchteten hinter ihm.
Alle Ställe schwammen auf und das Gutshaus und der Park. Die Blumen beunruhigten sich. Des Frühlings jüngstes Gericht war da.
Die Tür des Parkes stand auf. – Wie viele es waren! Junge Stuten schritten hinein. Eine Hellbraune, zweijährig und schon erwachsen, als letzte. Die Pforte lief hinterher in das Schloß.
Die jungen Pferde waren erregt. Sie besprangen einander, sehnsüchtig, begattet zu sein. Ihre Nüstern waren Blüten, die atmeten. Aber ihre schönen Köpfe waren entstellt. Die Krankheit der Wollust, die den Schädel aufbläht und fleischig macht.
Die hellbraune Stute aus dem Tragheimer Gestüt, mit kleinen Ohren und schwarzem, geflochtenem Schweif, lag in einem Beet. Ihre Hufe waren verborgen von den Narzissen. Sie wuchs auf ihren Hüften gleich einer sitzenden Frau. Ihr brauner Hals floß in die Blumen. Ihr Gesicht war unwillig, als litte es Schmerz. Sie fühlte ihren Leib nackt. Und sie wartete. Schreilos. Wie der Wald den Sturm erwartet.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 15 (9. April)

Mein Februarherz

Als trügen Frauen in den Straußenfedern‘
Das junge Licht wie eine weiße Fahne,
Gehörten alle Häuser reichen Reedern
Und wären Schiffe, schwimmt um die Altane

Die blaue Luft! Oh, jetzt in einem Kahne
Auf Wassern fahren, süßen Morgennebeln
Entgegensteuern, gleich dem leisen Schwane
Die Wellen teilend mit den schwarzen Hebeln!

Geh in die Leipzigerstraße! Geh ins Freie!
Schön ist die Wollust! Gott ein guter Junge.
Die Dirnen sommern brünstiger als Haie!

Ich habe Geld! Ich bin so schön im Schwunge.
Sonette aus Sonne kitzeln mir die Zunge!
In meiner Kehle sammeln sich die Schreie!

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 14 (2. April)

Leipzigerstraße. Querstraße zur Berliner Amüsiermeile Friedrichstraße.

Impression du Soir

Des Abends schwarze Wolkenvögel flogen
Im Osten auf vom Fluß der Horizonte.
Gärten vertropft in Nacht, die, als es sonnte,
Wie Seen grünten und den Wind einsogen.

Einsame Pappeln pressen ihre Schreie
Angst vor den Stürmen in die blonde Stille.
Schon saugen schwarze Munde Atem. – Schrille
Fabrikenpfiffe. Menschen ziehn ins Freie.

Ein rotes Mohnfeld mit den schwarzen Köpfen,
Ragen die Schlote, einsam, krank und kahl.
Die Wolkenvögel, Eiter an den Kröpfen,

Wie Pelikane flattern sie zum Mahl.
Und als die Horizonte Dunkel schöpfen,
Wirft sich der Blitz heraus, der blanke Aal.

 

Dies ist die Buchfassung = Zweitfassung.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 10 (5. März)


Anmerkung: Die Erstfassung unterscheidet sich von der Buchfassung durch zwei vorangestellte Strophen mit acht Zeilen.

Die Fassung, wie sie in Die Aktion veröffentlicht wurde, lautet:

Impression du Soir

Die Wälder lechzen. Nacht kommt, sie zu säugen.
Die Kiefern stehen abendrot mit Blüten.
Und wir vom schrillen Weltgefühl Verbrühten
Blecken die Zähne, röcheln schwarz und äugen.

Und speihn Gefühl, das unsern Magen faßte
Wie Tabaksaft. Da liegt etwas! Erkenn,
Ist das nicht ein Sonett! — Dich ängstigen
Die großen koloristischen Kontraste —:

Des Abends schwarze Wolkenvögel flogen
Im Osten auf vom Fluß der Horizonte.
Gärten vertropft in Nacht, die, als es sonnte,
Wie Seen grünten und den Wind einsogen.

Einsame Pappeln pressen ihre Schreie
Angst vor den Stürmen in die blonde Stille.
Schon saugen schwarze Munde Atem. — Schrille
Fabrikenpfiffe. Menschen ziehn ins Freie.

Ein rotes Mohnfeld mit den schwarzen Köpfen,
Ragen die Schlote, einsam, krank und kahl.
Die Wolkenvögel, Eiter an den Kröpfen,

Wie Pelikane flattern sie zum Mahl.
Und als die Horizonte Dunkel schöpfen,
Wirft sich der Blitz heraus, der blanke Aal.

Vorfrühlingshimmel

Blätter wollen im Winde fliegen,
Winde die Chaussee begleiten,
Wolken sich auf Winden wiegen,
Taumelnde Beschwerlichkeiten. –

Und ich komme, seltsam kühn,
Und als ob ich nicht Ich wäre,
Aus den Winden, Avenuen,
Mehr in das Imaginäre.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 9 (28. Feb.)

Monogamie

Fleisch. Es bewegt sich mit Blutschatten,
Und es versickert in zehn Tropfen Zehen.
Laß dich von meinen Seelenaugen sehen!
Sag etwas! Gattin, nenn mich deinen Gatten.

Die Küsse schlagen mich! Etwas Allmacht
Ist doch in den Anhäufungen von Armen.
Wie Kameraden liegen wir im warmen
Biwak der Herzen diese Fleischesnacht.

Wenn mir der Morgen in die Haare saust,
Schläfst du bei mir vom Mund bis an die Zehen.
Wir sind gottlos. Nur unser Herz verehrend.

Ein Löwenpaar, das unter Sternen haust.
Einer des andern große Stärke mehrend.
Wir sterben nicht. Das kann uns nicht geschehen.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 7/8 (13. Feb.)

Als Sammeltitel “Drei Gedichte” zusammen mit Szene und Bevor veröffentlicht.


Monogamie

Chair. Elle se meut d’ombres vermeilles
Et s’infiltre en dix gouttes d’orteils.
Laisse-toi regarder par l’œil de mon âme !
Dis quelque chose ! Appelle-moi homme, ma femme.

Les baisers me frappent ! Quelque puissance surnaturelle
Doit bien exister dans les bras qui se rassemblent.
Dans le chaud bivouac des cœurs nous reposons ensemble
Comme des camarades dans cette nuit charnelle.

Quand, sifflant dans mes cheveux, le matin s’amorce,
Tu dors de la bouche aux orteils, tout près.
Nous, mécréants, vénérons seulement le cœur.

Un couple de lions accroissant leurs forces
L’un l’autre. Sous les étoiles est leur demeure.
Nous ne mourrons pas. Cela ne pourra nous arriver jamais

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

Hinrichtung 1913

Er heult im Dunkeln. Horch! – – Sie kommen. Hui!
Er schwirrt hervor wie eine Fledermaus
Gegen die Wände. Fort! Er will heraus; –
Der Geistliche beginnt: „Ich bitte Sie“ – –

Er sitzt, rutscht wie ein Affe auf dem Steiß
Zwischen den Pfaffen durch; der fällt zusammen.
Aber die Wärter greifen ihn, die strammen
Geübten Männer schnaufen voller Schweiß.

Sie trugen ihn. Er ließ Urin, er riß
Die Hände los zum Schutz an seinen Hals.
Er schnatterte, er sah nichts weiter als

Den Herrn im Frack: ta-ta-ta-ta-ta-tattt!
Die Zunge hobelte noch Wortsalat,
Als ihr das Beil wild durch die Wurzel biß.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 7 (12. Feb.)


Exécution 1913

Écoute ! –  – ils  arrivent ! Il hurle l’obscurité.
Aïe ! Il volette comme une chauve-souris
Contre les murs. Vite ! Hors d’ici !
« Je vous en prie … » commence le curé.

Il est assis puis comme un singe glisse
D’entre le curaillon sur son train.
Mais les robustes matons entraînés, non en vain,
Haletants et baignés de sueur, le saisissent.

On l’emmena. Il ne retint l’urine,
Libère ses mains pour protéger son cou.
Il criaille et ne voit que l’homme dans son frac :

Sa langue battait la breloque :Tac   tac   tac !
Elle cafouillait encore quand d’un coup
Sauvagement la hache mordit la racine.
 

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

Vormorgens

Schneeflocken klettern an den Fensterscheiben,
Auf meinem Schreibtisch schläft der Lampenschein,
Und hingestreute Bogen, weiß und rein,
Ich wollte wohl etwas von Versen schreiben.

Der Tag ist nah. Die Jalousien schurr‘n,
Die letzten Sterne torkeln von den Posten.
Der Tag ist nah, den unbesternten Osten
Bevölkern Morgenwinde schon purpurn.

Und mich bewachsen Abende, beschatten
Die Jahre! O ich dunkle ein.
Das Gas singt in den Gassen Litanein,
Daß meine Augen so sehr früh ermatten.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 5 (29. Jan.)

Capriccio

Entlaubte Parke liegen treu wie Doggen
Hinter den Herrenhäusern, um zu wachen.
Schneestürme weiden, eine Herde Bachen.
Oft sind die Rehe auf dem jungen Roggen.

Und eine Wolke droht den Mond zu schänden.
Die Nacht hockt auf dem Park, der stärker rauscht.
Zwei alte Tannen winken, aufgebauscht,
Geheimnisvoll mit den harzigen Händen.

Die Toten sitzen in den nassen Nischen.
Auf einem Kirchenschlüssel bläst der eine,
Und alle lauschen, überkreuzte Beine,
Die Knochenhände eingeklemmt dazwischen.

Am großen, kalten Winterhimmel drohn
Vier Wolken, welche Pferdeschädeln gleichen.
Der Winde Brut pfeift in den hellen Eichen,
Daraus der gelbe Geier Mond geflohn.

Der Tod im Garten tritt jetzt aus dem Schatten
Der Tannen. Rasch. Das Schneelicht spritzt und glänzt.
Der Schrecken flattert breit um das Gespenst,
Das seinen Weg nimmt quer durch die Rabatten.

Zum Schloß. – Dort ruft man: „Prosit Neujahr! Prost!“
Zu zwölfen sind sie, der Apostel Schar,
Und mit Champagner taufen sie das Jahr,
Umstellt vom Sturm, der auf den Dächern tost.

Armleuchter flacken. Dampf von heißem Punsch.
Der Hitze Salven krachen vom Kamin.
Geruch der Weiber – Trimethylamin,
Die Bäuche schwitzen in der großen Brunst.

Jetzt stehn sie auf. Das Stühlerücken schurrt.
Der Tod im Flur ist nicht gewohnt die Speisen.
Er hebt den Kopf gegen das kalte Eisen
Der Schlüsseltülle, schnuppert gierig, knurrt.

Kommt jemand? Still. Er hupft unter die Treppe.
An einem Fräulein zerrt ein Kavalier.
Der Tod schleicht hinterher, ein fletschend Tier
Aus Mond; das trägt der Dame Schleppe.

Sie kommen an die Gruft -: „Hier sind wir sicher!“
– „Ich fürchte mich, oh, sind die Bäume groß!“
Der Tod schubst sie – kein Schrei, sie quieken bloß –
Und läuft hinweg mit heftigem Gekicher. —

Es dämmert endlich. Mit Blutaugen stiert
Der Morgen hin. Im Saal zappelt ein Märchen.
Der Tod wühlt in den fetten, welken Pärchen,
Frißt sie wie Trüffeln, die ein Schwein aufspürt.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 4 (22. Jan.)

Erläuterungen:
Bachen. Weibliche Wildschweine.
Trimethylamin. Chem. Stoff, riecht nach Heringslake

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