Liebesmorgen

Aus dem roten, roten Pfühl
kriecht die Sonne auf die Dielen,
Und wir blinzeln nur und schielen
Nach uns, voller Lichtgefühl.

Wie die Rosa-Pelikane,
Einen hellen Fisch umkrallend,
Rissen unsere Lippen lallend
Kuß um Kuß vom weißen Zahne.

Und nun, eingerauscht ins weiche
Nachgefühl der starken Küsse,
Liegen wir wie junge Flüsse
Eng umsonnt in einem Teiche.

Und wir lächeln gleich Verzückten;
Lachen gibt der Garten wieder,
Wo die jungen Mädchen Flieder,
Volle Fäuste Flieder pflückten.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 2, Jg. 1912, Nr. 29 (17. Juli)

Der Turmsteiger

Er fühlte plötzlich, daß es nach ihm griff,
– Die Erde war es und der Himmel oben,
An dem die Dohlen hingen und die Winde hoben –
Und fühlte, wie es ihn nun auch umpfiff.

Ihn schauderte. Er sah das Meer, er sah ein Schiff,
Das gelbe Wellen schaukelten und schoben,
Und sah die Wellen, Wellen – Wellen woben
An seinem unvollendeten Begriff.

Ein Wasserspeier sprang ihn an und bellte.
Er zitterte und faßte die Fiale,
Die knarrend brach; – versteinert aber schnellte

Ein Teufel Witze auf die Kathedrale;-
Er hörte hin – ein höllisches Finale:
Er stürzte, fiel! Sein Schrei trieb hoch und gellte.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 2, Jg. 1912, Nr. 29 (17. Juli)


The Steeple Climber

He suddenly could feel it try to grip
At him—the earth below, above the skies
In which the jackdaws hung, and where the winds would rise.
Around him now, he felt a whistling whip.

He shuddered at the sight of sea, and of a ship
That yellow billows pitched from side to side,
And saw the waves, the waves—the waves that tried,
Like weavers working, to mend his unformed wits.

A gargoyle jumped at him, it bayed and cried.
He quaked and grasped an ornate, upright stone
That creaked and broke—a devil, petrified,

Bounced jokes off this cathedral. All alone,
He listened close—the punch line fumed brimstone.
He fell! His chilling shriek rose far and wide.

Lyrics by Paul Boldt in English Translation
by Daniel J. Webster


L’escaladeur de tour

Soudain il fut saisi, il le sentit,
C’était la terre, et en haut c’était
Le ciel, les choucats pendaient, les vents levaient
Et lui sifflaient autour, il le sentit.

Il frémit, vit la mer, un navire bercé.
Les flots jaunes allaient, venaient, poussaient.
Des vagues, vagues –  vagues travaillaient
Sur son concept encore inachevé.

Une gargouille aboya, vers lui elle bondit.
Il trembla et saisit und fiale
Qui en craquant s’est brisé.

Les blagues d’un diable pétrifié
Assaillaient la cathédrale – cauda finale:
Il chuta, dégringola ! Son cri perçant jaillit.

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions des poèmes de Paul Boldt)

Nächte über Finnland

Die Nadelwälder dunkeln fort im Osten,
Und aus den Seen taucht das Nachtgespenst
Den gelben Kopf, von Feuerrauch gekränzt,
Den Sterngeruch der neuen Nacht zu kosten.

Zu weißen Pilzen filzen Fichtenpfosten,
Und Ast an Ast in zartem Lichte glänzt,
– Befrorne Linien – Filigran umgrenzt,
Zieht die Kontur aus reinen, reifen Frosten.

Bis auf das alte, runde, schwarze Eis
Des Grundes sind die Flüsse zugefroren.
In Schuttmoränen glänzt der glatte Gneis

Und in den leuchtenden, polierten Mooren.
Die Krähen schreien ewig: Tag – und Tat –
Nebel und Kälte fällt wie Sack und Saat.

 

JP JP 2

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 2, Jg. 1912, Nr. 28 (10. Juli)


Nights Over Finland

Off to the East, the light in fir woods fails.
From lakes in which the Ghost of Night has bathed
Its yellowed head, crowned by a smoky haze,
There is a scent of new night’s stars, which it inhales.

Some scattered fence-posts made of spruce, white-pale
Mushrooms and branches, side-by-side are glazed
In frozen lines—their borders a filigree maze—
The contours drawn in clean, ripe frost’s details.

Up to the old and rounded, blackened ice
Of earth, the rivers freeze and cease to flow.
In banks of rock, there shines the level gneiss.

And in the bright and burnished moors that glow,
Crows shriek eternally. Day—and its deeds—
The mist and cold, fall like a sack of seeds.

Lyrics by Paul Boldt in English Translation
by Daniel J. Webster

Schlafende Augen

Die Nerven kräuseln
Feinhäutig geschlossene Frauenlider.
Wie sanfte Winde säuseln
In erloschenen Lustseen
Stimmen, die unserm Blut die Liebe gab.

Wie in rauchende Meere
Tauchten unsere Blicke ein.
Wie rote, strotzende Heere,
Trunken von Wein,
Rollten die Augen ins Leere,
In rot flammenden Rausch und Schein.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 2, Jg. 1912, Nr. 28 (10. Juli)

Boxmatch

Die Zeichen ihrer Wut und ihrer Rache,
Die sie im Anprall aneinander hetzt,
Vermehren sich. Sie keuchen schwer und jetzt
Berinnen sie (ein Dämchen schreit entsetzt)

Wie Brunnenrohre, die ein Riß verletzt,
Und trampeln bäurisch um die rote Lache,
Um nicht zu fallen, während sie sich flache,
Seltene Hiebe geben – schonend schwache.

Da brüllt der Pöbel, und das Zischen fegt
Sie ineinander. Hiebe klappen dumpf,
Die Arme drehn wie Flügel einer Mühle.

Der stemmt den nackten Schädel aus dem Rumpf,
Nach welchem jener schnappt und Schläge schlägt.
Sein Lachen blutet aus dem Sieggefühle.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 2, Jg. 1912, Nr. 28 (10. Juli)

Erschien gemeinsam mit Nächte über Finnland und Schlafende Augen als Drei Gedichte von Paul Boldt


Le matche de boxe

Les signes de vengeance et de furie,
Qui les poussent à l’affrontement,
Augmentent. Ils halètent, maintenant
Dégulinent (une jeune effarouchée crie)

Comme des tuaux de blessures fendillés,
Ils piétinent, lourdement, autour d’une flaque de sang,
Et s’assènent pour ne pas tomber
Des coups étudiés, délibérément lents.

Mais la populace hurle, et le huées les poussent l’un
Dans l’autre. Comme les ailes d’un moulin
Les bras tournoient. Les coups claquent sourdement.

L’un projette son crâne tel une pogne
Que l’autre happe; les poings cognent.
Son rire saigne, triomphant.


© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

Mittags

Jetzt ruht der Tag am Himmel wie ein Krake,
Des blasses Maul die Wälder überschwemmt.
Laubbäume zittern in dem Sonnenhemd,
Als ob der Park von hellen Flammen blake.

Die schwere Mühle rudert strahlumwellt
In glattem Takt, daß sie den Abend hebe;
Noch hält der leuchtende Kristall die Schwebe,
Der Azur aus dem leichten Lichte fällt.

Orangewolken mit zitterndem Bauch,
Die nachts den Flächenblitz gebären sollen.
Libellen flügeln, Falter, und verschollen
Summen die Bienen in dem Bohnenstrauch.

In deinen Adern glüht des Heliotrops
Arom, gekühlt von süßerem Jasmin,
Und durch die Nerven klingen Phantasien,
Bizarre Phantasien Félicien Rops‘.

Im Walde schlägt der Keiler durstgequält
Die hellen Zähne in das Holz der Kiefer.
Die tote Schonung raucht wie heißer Schiefer,
In dem der Nacht erstickter Atem schwelt.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 2, Jg. 1912, Nr. 26 (26. Juni)

Erläuterungen:
Félicien Rops. Belgischer Graphiker und Maler (1833-1898), bekannt für erotische ,
laszive und satanische Themen.
Heliotrop. Nach Vanille oder Narzisse duftende Pflanze.


At Noon

Now day sprawls like Leviathan across
The sky at rest. Its pale snout floods all forests
Leaf-shedding trees shake in their solar dress,
As if the park were lit in holocaust.

The heavy mill keeps up its even beat,
Crowned by an aqua-halo that will enhance
Twilight. But now, the water’s in mid-dance,
And azure falls in weightless noontime heat.

Some clouds of orange shall give birth at night
With shaking bellies, to lightning sheets. One sees
The wings of dragonflies and moths, though bees
That buzz inside bean-patches are lost to sight.

Within your veins, the scent of heliotrope
Is burning, cooled by sweeter jasmine. Nerves
Now ring with fantasies, the lines and curves
Of eerie fantasies by Félicien Rops. [1]

The wild boar buries shining teeth in pine,
Harassed by thirst. The state preserve for game
Is dead, and smokes like red-hot slate. In flame,
The choking night burns for the longest time.


Lyrics by Paul Boldt in English Translation
by Daniel J. Webster

1 Félicien Rops (1833-1898): Belgian artist whose works are associated with the literary movements of Decadence and Symbolism, and especially with the poems of Charles Baudelaire.

Sinnlichkeit

Unter dem Monde liegt des Parks Skelett.
Der Wind schweigt weit. Doch wenn wir Schritte tun,
Beschwatzt der Schnee an deinen Stöckelschuhn
Der winterlichen Sterne Menuett.

Und wir entkleiden uns, seufzend vor Lust,
Und leuchten auf; du stehst mit hübschen Hüften
Und hellen Knien im Schnee, dem sehr verblüfften,
Wie eine schöne Bäuerin robust.

Wir wittern und die Tiere imitierend
Fliehn wir in den Alleen mit frischen Schrein.
Um deine Flanken steigt der Schnee moussierend.

Mein Blut ist fröhlicher als Feuerschein!
So rennen wir exzentrisches Ballett
Zum Pavillon hin durch die Tür ins Bett.

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

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