Vormorgens

Schneeflocken klettern an den Fensterscheiben,
Auf meinem Schreibtisch schläft der Lampenschein,
Und hingestreute Bogen, weiß und rein,
Ich wollte wohl etwas von Versen schreiben.

Der Tag ist nah. Die Jalousien schurr‘n,
Die letzten Sterne torkeln von den Posten.
Der Tag ist nah, den unbesternten Osten
Bevölkern Morgenwinde schon purpurn.

Und mich bewachsen Abende, beschatten
Die Jahre! O ich dunkle ein.
Das Gas singt in den Gassen Litanein,
Daß meine Augen so sehr früh ermatten.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 5 (29. Jan.)

Capriccio

Entlaubte Parke liegen treu wie Doggen
Hinter den Herrenhäusern, um zu wachen.
Schneestürme weiden, eine Herde Bachen.
Oft sind die Rehe auf dem jungen Roggen.

Und eine Wolke droht den Mond zu schänden.
Die Nacht hockt auf dem Park, der stärker rauscht.
Zwei alte Tannen winken, aufgebauscht,
Geheimnisvoll mit den harzigen Händen.

Die Toten sitzen in den nassen Nischen.
Auf einem Kirchenschlüssel bläst der eine,
Und alle lauschen, überkreuzte Beine,
Die Knochenhände eingeklemmt dazwischen.

Am großen, kalten Winterhimmel drohn
Vier Wolken, welche Pferdeschädeln gleichen.
Der Winde Brut pfeift in den hellen Eichen,
Daraus der gelbe Geier Mond geflohn.

Der Tod im Garten tritt jetzt aus dem Schatten
Der Tannen. Rasch. Das Schneelicht spritzt und glänzt.
Der Schrecken flattert breit um das Gespenst,
Das seinen Weg nimmt quer durch die Rabatten.

Zum Schloß. – Dort ruft man: „Prosit Neujahr! Prost!“
Zu zwölfen sind sie, der Apostel Schar,
Und mit Champagner taufen sie das Jahr,
Umstellt vom Sturm, der auf den Dächern tost.

Armleuchter flacken. Dampf von heißem Punsch.
Der Hitze Salven krachen vom Kamin.
Geruch der Weiber – Trimethylamin,
Die Bäuche schwitzen in der großen Brunst.

Jetzt stehn sie auf. Das Stühlerücken schurrt.
Der Tod im Flur ist nicht gewohnt die Speisen.
Er hebt den Kopf gegen das kalte Eisen
Der Schlüsseltülle, schnuppert gierig, knurrt.

Kommt jemand? Still. Er hupft unter die Treppe.
An einem Fräulein zerrt ein Kavalier.
Der Tod schleicht hinterher, ein fletschend Tier
Aus Mond; das trägt der Dame Schleppe.

Sie kommen an die Gruft -: „Hier sind wir sicher!“
– „Ich fürchte mich, oh, sind die Bäume groß!“
Der Tod schubst sie – kein Schrei, sie quieken bloß –
Und läuft hinweg mit heftigem Gekicher. —

Es dämmert endlich. Mit Blutaugen stiert
Der Morgen hin. Im Saal zappelt ein Märchen.
Der Tod wühlt in den fetten, welken Pärchen,
Frißt sie wie Trüffeln, die ein Schwein aufspürt.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 4 (22. Jan.)

Erläuterungen:
Bachen. Weibliche Wildschweine.
Trimethylamin. Chem. Stoff, riecht nach Heringslake

Berliner Abend

Spukhaftes Wandeln ohne Existenz!
Der Asphalt dunkelt und das Gas schmeißt sein
Licht auf ihn. Aus Asphalt und Licht wird Elfenbein.
Die Straßen horchen so. Riechen nach Lenz.

Autos, eine Herde von Blitzen, schrein
Und suchen einander in den Straßen.
Lichter wie Fahnen, helle Menschenmassen:
Die Stadtbahnzüge ziehen ein.

Und sehr weit blitzt Berlin. Schon hat der Ost,
Der weiße Wind, in den Zähnen den Frost,
Sein funkelnd Maul über die Stadt gedreht,
Darauf die Nacht, ein stummer Vogel, steht.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 2 (8. Jan)

Die Dirne

Die Zähne standen unbeteiligt, kühl
Gleich Fischen an den heißen Sommertagen.
Sie hatte sie in sein Gesicht geschlagen
Und trank es – trank – entschlossen dies Gefühl

In sich zu halten, denn sie ward ein wenig
Wie früher Mädchen und erlitt Verführung;
Er aber spürte bloß Berührung,
Den Mund wie einen Muskel, mager, sehnig.

Und sollte glauben an ihr Offenbaren,
Und sah, wie sie dann dastand – spiegelnackt –
Das Falsche, das Frisierte an den Haaren;

Und unwillig auf ihren schlechten Akt
Schlug er das Licht aus, legte sich zu ihr,
Mischend im Blut Entsetzen mit der Gier.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 2 (8. Jan.)

Belle Amie – –

Meine Arme sind jetzt sehr stark.
Und so erfahren,
Meine Nerven flüstern
Am Rückenmark
Von ihren Haaren; –
Und wieder (lüstern):
Von ihren gelben Haaren – –

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 2 (8. Jan)

Meine Jüdin

Du junge Jüdin, braune Judith, köstliche
Frucht der Erkenntnis, weißer Blütenfall:
Aus Kleidern steigst du nackt, ein All ins All,
Mit deinen Brüsten, Mythenfrau, du östliche.

Steige vom Sockel, Venus, aus zerballter
Wäsche, Jungweib! Wie Morgensonne blitzt
Dein Bauch – und in der Schenkel Schatten sitzt
Wie Blüten saugend, fest, ein schwarzer Falter.

Und Schwarzes fällt aus den gelösten Schleifen
In den konkaven Nacken, wie Geruch.
Und die zu großen, graden Zähne blecken,

Als ob sie schon in Männerküssen stäken.
Der Blick hängt glänzend über dem Versuch,
Die Lippen über das Gebiß zu streifen.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 2 (8. Jan.)

Der Denker

Nachmittag wird, und Wetter steigen schwarz
Herauf. Des Blitzes Ferse leuchtet im
Gewölk. Auf das Gebirge beißt voll Grimm
Der Donner, und Regen speien aus dem Quarz.

Den Fuß den Felsgesteinen eingestemmt,
Die Augen abgewandt, als horche er,
So kommt er durch die Schründe, weglos, quer.
Zum weißen Urherrn in der Blitze Hemd.

Der Abgrund saugt Milliarden Zentner Himmel
In sich hinein. Der Weiße oben bleckt,
Zu dem er steigt. Durch Gletscher grün von Schimmel,

Des Riesen Bart, der von den Föhnen leckt.
Und schon reißt weit der Horizont entzwei, –
Blank, eben, schwangleich rauscht ins All ein Schrei.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 1 (1. Jan.)

Erläuterungen:
Denker. Anspielung auf „Zarathustra“ von Nietzsche, als dieser durch das Gebirge steigt.

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