Der Leib

Blut trägt die Antlitze, wie Wasser trägt.
Das Antlitz hat die Ohren an dem Hals.
Das Antlitz-Rad hat von dem Schwung des Alls
Die Ohren rauschend, die das Blut aufschlägt.

Ein Kopf voll Glieder bin ich nicht entmischt:
Den Nasenteil der Form und den Teilarm
Im Schädelsack bei dem Subjektenschwarm.
Zum Arm hinaus im Hirne hängt die Hand.

Gott ließ das Meer rauschend in Wellen liegen.
Ich ward gevierteilt und Höllendetail.
Auf einem Auge, einer Wange geil:
Das Hirn wirft einen Mund auf: Gnade! Gnade!

O fingeriger, roter Ich-Zufall.
Ich, das die Zähnedistel so behäutet:
Ich, das der Mund, Altnase so bedeutet:
Das steigt herab. Das will herab ins All.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 8, Jg. 1918, Nr. 31/32 (10. Aug)

Die Sprecher

Mundmann, du Sprecher vor dem Röchel-Ende:
Das Boot in Händen, ruderfingerkraus,
Wir machten auf dem Meere Fische aus.
– Und nun rahmen mich ein Zehen und Hände.

Ichbild, der Muskel, knittert als Zwangsjacke.
An Nervenschauern bin ich fast erstickt.
Ein Raumräuber, der vor dem All erschrickt:
Im Tischgesicht, im Bratfisch, im Geschmacke.

Los-wehen wird Ich: hirnher nach hirndort,
In Ohren-Rosen sinken vom Ichzwinger.
Im Häutereiz wimmeln nicht mehr Sprachfinger.
Der Mischling Mensch probiert herber das Wort.

Und lossprechen die Munde der Bekenner.
Heraus, was da ist: soviel Herz für Frankreich.
Einen Gedanken schreien alle klangreich:
Es gibt die vielen totgeschossenen Männer!

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 7, Jg. 1917, Nr. 26 (30. Juni)


Les porte-parole

Toi, homme-bouche avant le dernier râle :
La barque en mains, les doigts fermés sur les rames,
Nous avions vu des poissons dans la mer
Et maintenant des orteils et des mains m’enserrent.

Un muscle-camisole, de moi l’image.
J’ai failli suffoquer de frissons de nerfs.
Un voleur d’espace qui s’effraie de l’univers :
Dans le poisson frit, dans le goût, de la table le visage.

Le moi s’échappera, cerveau par-ci, cerveau
Par-là, de sa prison aux roses d’ouïes.
Les doigts du verbe ne fourmillent plus  sur les charmes de la
peau.
Il teste plus âprement le mot, l’homme métis.

Et elles absolvent, les bouches des croyants.
Que sorte ce qui est là : Tant de coeur pour la France.
Ensemble tous hurlent ce qu’ils pensent :
Tant d’hommes abattus combattants !

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

Badende Mädchen

Einmal gezeugt. Aus Haar und Zehenspitze
Fliegen die Rücken, Knie, Bäuche, Nacken.
Und händchengroß entfliegen rote Backen.
Der Antlitzstern zerfliegt in Handantlitze.

Zu der Figur flattern hinaus Neufrauen.
Das Licht zerstreut Bauch-Bild und Brüstefältchen.
Im Sand beisammen leuchtet Muskelwäldchen,
Zopf-Zoppot, jung mit Näbeln, Kinn, mit Brauen.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 6, Jg. 1916, Nr. 47/48 (25. Nov.)

Erläuterungen:
Zoppot.  mondänes Ostseebad,  heute: Sopot.


Les baigneuses de Zoppot

Conçues un jour. De cheveux et d’orteils
Les dos volent, ventres, nuques, genoux.
Et pareilles à de petites mains s’envolent des joues,
Visages-étoiles se dissipent en visages-mains vermeils.

Des femmes neuves se joignent voletantes à la composition,
La lumière disperse de petits plis de seins, de ventres-images.
Un petit bois de muscles scintille sur la plage.
Jeune Zoppot-tresse, de nombrils, de sourcils, de mentons.

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

Frauenfeuer

Die Frauenfeuer, so strahlende Augen.
Das Ornament der Schädel ist symmetrisch.
Das Auge vor dem Hirn blinzelt verrätrisch:
Schön ist das Fleisch beleuchtet von den Augen.

Im Jahresdurst. Kein Schrei verläßt das Hirn.
Auf unsern Lippen stumm leuchten sie nackend.
Der Mann stürzt vorwärts mit den Armen packend.
Sein Antlitz krümmt der Schmerz in einen Stern

Aus strengem Licht. Sie aber haben Charme.
Wie Nackende das Lächeln anbehält,
So daß es ihr über die Brüste fällt.

Und folterkräftig ist die Nackte warm
Neben den armen Nackenden gestellt.
Die Fingerglut des Nackten an dem Arm.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 45/46 (6. Nov.)

Frauen in den Straßen

Die Schenkelschweife an den Rippen.
Kopfhaft und wie ein Kuß gebaut,
Gleitest du dunkle Unterhaut
Seele: du Blutgestalt mit Lippen.

Der Tag voll Nase, Auge, Zopf
Hat die Magie, mich zu verwirren.
Schönheit zerreißt uns an der Stirn.
– Seele küsse mich an den Kopf!

Die Hände, deine Geberinnen,
Ein Erdlachen oder den Schrei.
Ich habe deiner Hände zwei
Verschluckt, oder du machst mich innen.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 39/40 (25. Sept.)

Das Bad des Blinden

Irgendwo vergeht Berlin.
Da nimmt die Sonne seine Hände.
Die Linden bleiben grün um ihn –
Er riecht: im Winde duften Brände.

Blaßrosa, seine Lippen fühlen
Das kühle Schwarz des Flusses, Flusses,
Er schmeckt, wie die Vokale kühlen,
Und den nervösen See des Kusses.

Ein Mädchen, nackt, hat ihn geküßt
Und zieht ihn in die blauen Wellen.
Er zuckt und schreit, vom Licht durchsüßt:
Die Wellen! oh – die roten Wellen!

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 29/30 (24. Juli)

Ausflug

In Sommerkleidern, leicht den Kopf geschwungen
Über die Erde, gehen die ihr Treusten.
Himmel umfliegt vor zarten Fingerfäusten,
Ein altes Gas, und säugt Blumen, Tierlungen.

Drei Kleidertiere. Das Jungbäumepack.
Sechs Ärmelbüschel voller Fingerbeeren.
Die Zehen sind, als ob sie Raupen wären,
Geworden. Und das Auge blaut im Tag.

Die Bäume grünen einen hellen Garten.
Ah, Baum! Ah, Fanatismus: wachsen, grünen!
Totes wegschmeißen wie das Meer die Dünen!
Und bluthaft werden, meerhaft nie entarten!

Der Herzschlag ächzt. Frau F . . . lächelt erfrischend.
Ein Herzgewölk bleibt auf den Zähnen stehen.
Das Blut liegt zitternd zwischen Kopf und Zehen.
Ohren und Lippen in die Sonne mischend.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 22/23 (29. Mai)

Das stumme Land

Das Land liegt zwischen Strömen an den Seen.
Im Winde fiebernd, brandig von Morästen.
Hier wächst der Wald. Es nisten in den Ästen
Die alten Vögel, Völker großer Krähn.

In hellem Abend wandern die Chausseen
Nach Süden aus, und andere nach Westen,
Und sehn auf erzen-hellen Wälderresten
Die Sonne rot in die Schneeberge gehn.

Im stummen Lande wohnt die Menschenrasse
Brutaler Leute, Jähzorn im Geblüt.
Wie Tiere lachen würden, tritt der krasse

Kiefer heraus, um einen Biß bemüht.
Jeder Gewöhnliche erhält die Masse.
Sie lieben Krieg, Tierfang und das Gestüt.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 16/17 (17. April)

Stadt

Unsere Stadt ist gar nicht absolut.
In die roten, gefleckten Wolkenmassen
Sinken die Häuser abends wie zerlassen.
Voller Detail. Straßen und Lampenflut.

Behändetes Café voll Köpfen kocht.
Im Rock aus Schrei steht Litfaßsäule steif.
Wind fliegt vorbei als dunkler Pferdeschweif.
Und Hurenlächeln brennt am Kleiderdocht.

Tagestrottoir beschreiten dunkel Träger.
Kleider mit alten Flecken roten Munds.
Antlitz, auf Hirn gefaltet, friert blutlos.

Ach: nahten reicherblutig Wälder uns
Der Stadt entschritten! Und wärmend und bloß
Himmel der Farbige, der blaue Neger.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 14/15 (3. April)

Szene

Dein Hinterkopf ist Haar auf meiner Hand.
Und in dein kleines Antlitz wärmt die Lunge.
Leg deine junge Hand in meine junge,
Pflanze die Zähne in das Lippenland.

Entkleidet bist du noch nicht nackt genug.
Schenk deine Fußsohlen ins Lampenlicht!
Das fremde Zimmer geht aus dem Gesicht.
Wir küssen uns vor einem roten Tuch.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 7/8 (13. Feb.)

Als Sammeltitel “Drei Gedichte” zusammen mit Bevor und Monogamie veröffentlicht.

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