Monogamie

Fleisch. Es bewegt sich mit Blutschatten,
Und es versickert in zehn Tropfen Zehen.
Laß dich von meinen Seelenaugen sehen!
Sag etwas! Gattin, nenn mich deinen Gatten.

Die Küsse schlagen mich! Etwas Allmacht
Ist doch in den Anhäufungen von Armen.
Wie Kameraden liegen wir im warmen
Biwak der Herzen diese Fleischesnacht.

Wenn mir der Morgen in die Haare saust,
Schläfst du bei mir vom Mund bis an die Zehen.
Wir sind gottlos. Nur unser Herz verehrend.

Ein Löwenpaar, das unter Sternen haust.
Einer des andern große Stärke mehrend.
Wir sterben nicht. Das kann uns nicht geschehen.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 7/8 (13. Feb.)

Als Sammeltitel “Drei Gedichte” zusammen mit Szene und Bevor veröffentlicht.


Monogamie

Chair. Elle se meut d’ombres vermeilles
Et s’infiltre en dix gouttes d’orteils.
Laisse-toi regarder par l’œil de mon âme !
Dis quelque chose ! Appelle-moi homme, ma femme.

Les baisers me frappent ! Quelque puissance surnaturelle
Doit bien exister dans les bras qui se rassemblent.
Dans le chaud bivouac des cœurs nous reposons ensemble
Comme des camarades dans cette nuit charnelle.

Quand, sifflant dans mes cheveux, le matin s’amorce,
Tu dors de la bouche aux orteils, tout près.
Nous, mécréants, vénérons seulement le cœur.

Un couple de lions accroissant leurs forces
L’un l’autre. Sous les étoiles est leur demeure.
Nous ne mourrons pas. Cela ne pourra nous arriver jamais

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

Hinrichtung 1913

Er heult im Dunkeln. Horch! – – Sie kommen. Hui!
Er schwirrt hervor wie eine Fledermaus
Gegen die Wände. Fort! Er will heraus; –
Der Geistliche beginnt: „Ich bitte Sie“ – –

Er sitzt, rutscht wie ein Affe auf dem Steiß
Zwischen den Pfaffen durch; der fällt zusammen.
Aber die Wärter greifen ihn, die strammen
Geübten Männer schnaufen voller Schweiß.

Sie trugen ihn. Er ließ Urin, er riß
Die Hände los zum Schutz an seinen Hals.
Er schnatterte, er sah nichts weiter als

Den Herrn im Frack: ta-ta-ta-ta-ta-tattt!
Die Zunge hobelte noch Wortsalat,
Als ihr das Beil wild durch die Wurzel biß.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 7 (12. Feb.)


Exécution 1913

Écoute ! –  – ils  arrivent ! Il hurle l’obscurité.
Aïe ! Il volette comme une chauve-souris
Contre les murs. Vite ! Hors d’ici !
« Je vous en prie … » commence le curé.

Il est assis puis comme un singe glisse
D’entre le curaillon sur son train.
Mais les robustes matons entraînés, non en vain,
Haletants et baignés de sueur, le saisissent.

On l’emmena. Il ne retint l’urine,
Libère ses mains pour protéger son cou.
Il criaille et ne voit que l’homme dans son frac :

Sa langue battait la breloque :Tac   tac   tac !
Elle cafouillait encore quand d’un coup
Sauvagement la hache mordit la racine.
 

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

Vormorgens

Schneeflocken klettern an den Fensterscheiben,
Auf meinem Schreibtisch schläft der Lampenschein,
Und hingestreute Bogen, weiß und rein,
Ich wollte wohl etwas von Versen schreiben.

Der Tag ist nah. Die Jalousien schurr‘n,
Die letzten Sterne torkeln von den Posten.
Der Tag ist nah, den unbesternten Osten
Bevölkern Morgenwinde schon purpurn.

Und mich bewachsen Abende, beschatten
Die Jahre! O ich dunkle ein.
Das Gas singt in den Gassen Litanein,
Daß meine Augen so sehr früh ermatten.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 5 (29. Jan.)

Capriccio

Entlaubte Parke liegen treu wie Doggen
Hinter den Herrenhäusern, um zu wachen.
Schneestürme weiden, eine Herde Bachen.
Oft sind die Rehe auf dem jungen Roggen.

Und eine Wolke droht den Mond zu schänden.
Die Nacht hockt auf dem Park, der stärker rauscht.
Zwei alte Tannen winken, aufgebauscht,
Geheimnisvoll mit den harzigen Händen.

Die Toten sitzen in den nassen Nischen.
Auf einem Kirchenschlüssel bläst der eine,
Und alle lauschen, überkreuzte Beine,
Die Knochenhände eingeklemmt dazwischen.

Am großen, kalten Winterhimmel drohn
Vier Wolken, welche Pferdeschädeln gleichen.
Der Winde Brut pfeift in den hellen Eichen,
Daraus der gelbe Geier Mond geflohn.

Der Tod im Garten tritt jetzt aus dem Schatten
Der Tannen. Rasch. Das Schneelicht spritzt und glänzt.
Der Schrecken flattert breit um das Gespenst,
Das seinen Weg nimmt quer durch die Rabatten.

Zum Schloß. – Dort ruft man: „Prosit Neujahr! Prost!“
Zu zwölfen sind sie, der Apostel Schar,
Und mit Champagner taufen sie das Jahr,
Umstellt vom Sturm, der auf den Dächern tost.

Armleuchter flacken. Dampf von heißem Punsch.
Der Hitze Salven krachen vom Kamin.
Geruch der Weiber – Trimethylamin,
Die Bäuche schwitzen in der großen Brunst.

Jetzt stehn sie auf. Das Stühlerücken schurrt.
Der Tod im Flur ist nicht gewohnt die Speisen.
Er hebt den Kopf gegen das kalte Eisen
Der Schlüsseltülle, schnuppert gierig, knurrt.

Kommt jemand? Still. Er hupft unter die Treppe.
An einem Fräulein zerrt ein Kavalier.
Der Tod schleicht hinterher, ein fletschend Tier
Aus Mond; das trägt der Dame Schleppe.

Sie kommen an die Gruft -: „Hier sind wir sicher!“
– „Ich fürchte mich, oh, sind die Bäume groß!“
Der Tod schubst sie – kein Schrei, sie quieken bloß –
Und läuft hinweg mit heftigem Gekicher. —

Es dämmert endlich. Mit Blutaugen stiert
Der Morgen hin. Im Saal zappelt ein Märchen.
Der Tod wühlt in den fetten, welken Pärchen,
Frißt sie wie Trüffeln, die ein Schwein aufspürt.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 4 (22. Jan.)

Erläuterungen:
Bachen. Weibliche Wildschweine.
Trimethylamin. Chem. Stoff, riecht nach Heringslake

Berliner Abend

Spukhaftes Wandeln ohne Existenz!
Der Asphalt dunkelt und das Gas schmeißt sein
Licht auf ihn. Aus Asphalt und Licht wird Elfenbein.
Die Straßen horchen so. Riechen nach Lenz.

Autos, eine Herde von Blitzen, schrein
Und suchen einander in den Straßen.
Lichter wie Fahnen, helle Menschenmassen:
Die Stadtbahnzüge ziehen ein.

Und sehr weit blitzt Berlin. Schon hat der Ost,
Der weiße Wind, in den Zähnen den Frost,
Sein funkelnd Maul über die Stadt gedreht,
Darauf die Nacht, ein stummer Vogel, steht.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 2 (8. Jan)

Die Dirne

Die Zähne standen unbeteiligt, kühl
Gleich Fischen an den heißen Sommertagen.
Sie hatte sie in sein Gesicht geschlagen
Und trank es – trank – entschlossen dies Gefühl

In sich zu halten, denn sie ward ein wenig
Wie früher Mädchen und erlitt Verführung;
Er aber spürte bloß Berührung,
Den Mund wie einen Muskel, mager, sehnig.

Und sollte glauben an ihr Offenbaren,
Und sah, wie sie dann dastand – spiegelnackt –
Das Falsche, das Frisierte an den Haaren;

Und unwillig auf ihren schlechten Akt
Schlug er das Licht aus, legte sich zu ihr,
Mischend im Blut Entsetzen mit der Gier.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 2 (8. Jan.)

Belle Amie – –

Meine Arme sind jetzt sehr stark.
Und so erfahren,
Meine Nerven flüstern
Am Rückenmark
Von ihren Haaren; –
Und wieder (lüstern):
Von ihren gelben Haaren – –

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 2 (8. Jan)

Meine Jüdin

Du junge Jüdin, braune Judith, köstliche
Frucht der Erkenntnis, weißer Blütenfall:
Aus Kleidern steigst du nackt, ein All ins All,
Mit deinen Brüsten, Mythenfrau, du östliche.

Steige vom Sockel, Venus, aus zerballter
Wäsche, Jungweib! Wie Morgensonne blitzt
Dein Bauch – und in der Schenkel Schatten sitzt
Wie Blüten saugend, fest, ein schwarzer Falter.

Und Schwarzes fällt aus den gelösten Schleifen
In den konkaven Nacken, wie Geruch.
Und die zu großen, graden Zähne blecken,

Als ob sie schon in Männerküssen stäken.
Der Blick hängt glänzend über dem Versuch,
Die Lippen über das Gebiß zu streifen.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 2 (8. Jan.)

Der Denker

Nachmittag wird, und Wetter steigen schwarz
Herauf. Des Blitzes Ferse leuchtet im
Gewölk. Auf das Gebirge beißt voll Grimm
Der Donner, und Regen speien aus dem Quarz.

Den Fuß den Felsgesteinen eingestemmt,
Die Augen abgewandt, als horche er,
So kommt er durch die Schründe, weglos, quer.
Zum weißen Urherrn in der Blitze Hemd.

Der Abgrund saugt Milliarden Zentner Himmel
In sich hinein. Der Weiße oben bleckt,
Zu dem er steigt. Durch Gletscher grün von Schimmel,

Des Riesen Bart, der von den Föhnen leckt.
Und schon reißt weit der Horizont entzwei, –
Blank, eben, schwangleich rauscht ins All ein Schrei.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 3, Jg. 1913, Nr. 1 (1. Jan.)

Erläuterungen:
Denker. Anspielung auf „Zarathustra“ von Nietzsche, als dieser durch das Gebirge steigt.

Erwachsene Mädchen

Wer weiß seit Fragonard noch, was es heiße,
Zwei stracke Beine haben in dem Kleide;
Roben gefüllt von Fleisch, als ob die Seide
In jeder Falte mit dem Körper kreiße.

Aus dem Korsage fahren eure Hüften
Wie Bügeleisen in den Stoff der Röcke,
Darauf wie Bienen auf die Bienenstöcke
Unsere Blicke kriechen aus den Lüften.

Ihr jugendlichen Sonnen! Fleischern Licht!
Wir haben den Ehrgeiz der Allegorien
Und hübschen Dinge im Gedicht.

Ich will mit eurer Bettwärme Blumen ziehn!
Und einen kleinen Mond aus dem Urin,
Der sternenhell aus eurem Blute bricht!

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 2, Jg. 1912, Nr. 49 (4. Dez.)

Erläuterungen:
Fragonard. Jean Honoré Fragonard, frz. Maler (1732 – 1806), der mittels seiner galanten und frivolen Bilderthemen bekannt wurde.


Anmerkung: Die beiden Terzette des Sonetts sind für die Buchausgabe völlig umgeschrieben worden.

Die Fassung, wie sie in Die Aktion veröffentlicht wurde, lautet:

Erwachsene Mädchen

Wer weiß seit Fragonard noch, was es heiße,
Zwei stracke Beine haben in dem Kleide;
Roben gefüllt von Fleisch, als ob die Seide
In jeder Falte mit dem Körper kreise.

Aus der Korsage fahren ihre Hüften
Gleich Bügeleisen in den Stoff der Röcke,
Darin wie Bienen in die Bienenstöcke
Die Winde kriechen aus den kalten Lüften.

Kindsköpfe ihr, ihr kleinen, festen Brüste,
Die ihr gleich sommerlichen Rosen ruht. –
Des Abends Elegie macht das; mir ist, es müßte

In diesen Ernten sein, daß Boas Ruth
Auf seinen Feldern trifft: Wie tut er gut
Der Brustkorb Rosen in der Weizenwüste.


Jeunes filles adultes

Qui depuis Fragonard connaît encore
Ce que veulent dire deux jambes rebondies,
Chair remplissant la robe comme si
La soie en chaque pli accouchait du corps.

Vos hanches poussent du corset telles des fers
Brûlants le tissu des jupes, auxquelles,
Comme les abeilles vers les rayons de miel,
Nos regards rampent à travers les airs.

Ah ! Juveniles soleils ! Lumière de chair !
L’ambition des allegories et des jolies choses
Dans le poème. Cela nous fascine.

De vos draps tièdes, je veux faire pousser des roses,
Et une petite lune d’urine
Qui jaillit de votre sang, astre clair.

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

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