Ausflug

In Sommerkleidern, leicht den Kopf geschwungen
Über die Erde, gehen die ihr Treusten.
Himmel umfliegt vor zarten Fingerfäusten,
Ein altes Gas, und säugt Blumen, Tierlungen.

Drei Kleidertiere. Das Jungbäumepack.
Sechs Ärmelbüschel voller Fingerbeeren.
Die Zehen sind, als ob sie Raupen wären,
Geworden. Und das Auge blaut im Tag.

Die Bäume grünen einen hellen Garten.
Ah, Baum! Ah, Fanatismus: wachsen, grünen!
Totes wegschmeißen wie das Meer die Dünen!
Und bluthaft werden, meerhaft nie entarten!

Der Herzschlag ächzt. Frau F . . . lächelt erfrischend.
Ein Herzgewölk bleibt auf den Zähnen stehen.
Das Blut liegt zitternd zwischen Kopf und Zehen.
Ohren und Lippen in die Sonne mischend.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 22/23 (29. Mai)

Das stumme Land

Das Land liegt zwischen Strömen an den Seen.
Im Winde fiebernd, brandig von Morästen.
Hier wächst der Wald. Es nisten in den Ästen
Die alten Vögel, Völker großer Krähn.

In hellem Abend wandern die Chausseen
Nach Süden aus, und andere nach Westen,
Und sehn auf erzen-hellen Wälderresten
Die Sonne rot in die Schneeberge gehn.

Im stummen Lande wohnt die Menschenrasse
Brutaler Leute, Jähzorn im Geblüt.
Wie Tiere lachen würden, tritt der krasse

Kiefer heraus, um einen Biß bemüht.
Jeder Gewöhnliche erhält die Masse.
Sie lieben Krieg, Tierfang und das Gestüt.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 16/17 (17. April)

Stadt

Unsere Stadt ist gar nicht absolut.
In die roten, gefleckten Wolkenmassen
Sinken die Häuser abends wie zerlassen.
Voller Detail. Straßen und Lampenflut.

Behändetes Café voll Köpfen kocht.
Im Rock aus Schrei steht Litfaßsäule steif.
Wind fliegt vorbei als dunkler Pferdeschweif.
Und Hurenlächeln brennt am Kleiderdocht.

Tagestrottoir beschreiten dunkel Träger.
Kleider mit alten Flecken roten Munds.
Antlitz, auf Hirn gefaltet, friert blutlos.

Ach: nahten reicherblutig Wälder uns
Der Stadt entschritten! Und wärmend und bloß
Himmel der Farbige, der blaue Neger.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 14/15 (3. April)

Szene

Dein Hinterkopf ist Haar auf meiner Hand.
Und in dein kleines Antlitz wärmt die Lunge.
Leg deine junge Hand in meine junge,
Pflanze die Zähne in das Lippenland.

Entkleidet bist du noch nicht nackt genug.
Schenk deine Fußsohlen ins Lampenlicht!
Das fremde Zimmer geht aus dem Gesicht.
Wir küssen uns vor einem roten Tuch.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 7/8 (13. Feb.)

Als Sammeltitel “Drei Gedichte” zusammen mit Bevor und Monogamie veröffentlicht.

Freundin Hörerin

Die Gegenwart der Nacht macht alles schlimmer.
Die Phantasien der Lust entlaufen schnöde,
Die Uhr schreit häßlich in der Herzeinöde,
Ins Zimmer fliegen die früheren Zimmer.

Unter die Stirne flieht die Gliederherde.
Im Mund weißkleinen Zähnelichtes schreit es,
Und Schrecken wächst im Antlitz wie ein zweites:
Ach, ach, es friert über mich hin aus Erde.

Und das Bewußtsein glaubt noch nicht einmal
Der chemischen Erlösung von dem Leide.
Das Antlitz abgestreift an eine Weide,
Mit Felderarmen liegen wir im Tal.

Ich mußte haltlos altern aus der Jugend
In dieser weißen, häuserigen Stadt.
Auf krummem Himmel frei zu stehen matt,
Den Schädel in die Martermauern fugend.

Im Himmelsgrund voll Schatten, Wind und Straße
Erscheinen wir, die sich bewegend tun.
Aus Augen fliegt über den dunklen Schuhn
Der Regenbogen durch die Antlitzmasse.

Antlitze kommen auf in dem Tierhaar,
Die Einzelaugen an die meinen spülend.
Und ein Gesicht, Auswuchs der Seele, fühlend
Einschwebte Stirn zur Stirne, scheues Paar.

Wir arbeiten. Mich freut es, dich zu sehn
Freundinnenlippenrot, anthropomorph.
Wir bauen in die Stadt uns kleines Dorf
Schädelblut-Häuser und Arme-Alleen.

Das Herz geht in den Händen hin und her.
Die Augen füllen sich an einem Strahl,
Mit Bäumebildern, Städten an dem Meer.
Der Strahl ist aus der Sonne, Tag geheißen.

Erstveröffentlichungen:

  • Die weißen Blätter. Bd. 3, Jg. 1916, II. Quartal (April), S. 76-77
  • Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 7/8 (13. Feb.)

Bevor

Wir haben unsere Anatomie
In einen Raum gestellt auf Teppichrot.
Hängende Hände. Und von Atemnot
Gedrehte Schädel fliehen sie.

Wir zeigen uns dem Laster. Die Hautflächen
Blutschimmernd, Helles atmend und verfeinert.
Ein Hengsterennen hundertfach verkleinert.
Die Nackenden beschäumt von Muskelbächen,

Daß wir aus uns ein Floß zusammenbänden,
Umarmt umarmend schwömmen auf dem Blut!
Berühre mich mit deinen Herzbluthänden!

Daß wir uns heilend in dem Fleische wüschen,
Kußnackt und leise lägen, ausgeruht,
Wie Mond und Wasser in den Weidenbüschen.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 5, Jg. 1915, Nr. 7/8 (13. Feb.)

Als Sammeltitel “Drei Gedichte” zusammen mit Szene und Monogamie veröffentlicht.

Wir Dichter

Wie Einsamkeit das Ich im Auge dämmt.
Du ist nicht feil, und Du beginnt zu fehlen.
Geh durch die Menge, um Lächeln zu stehlen,
Verbrauche deine Küsse ungehemmt -:

Ein Schrei wärmt dir den Leib! Zu sehr allein.
Es gibt nur dies, unser Blut-Hoch und Ja,
Unsere Kunst, das Labsal anima!
Das Herz bewegt sich in das Wort herein.

Von den Stummheiten sollen wir aufbrechen!
Nicht nur anjahren in der Existenz.
Von Antlitzfrauen aufreizend umschwiegen

Werden wir jetzt, einmal und wenigstens,
Die Herzensröte an den Lippen kriegen.
Unseren Dialekt des Menschen sprechen.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 4, Jg. 1914, Nr. 50/52 (24. Dez.)


Nous les poètes

Solitude, comme elle emmure dans l’oeil le moi.
Tu n’es pas vénal et tu te retires.
Va à travers la foule voler des sourires,
Épuise tes baisers sans embarras – :

Un cri te brûle le corps ! Seul, trop.
Il n’y a que notre sang et ses vivats,
Les délices de notre art, cette anima !
Le cœur se meut à l’intérieur du mot.

De nos mutismes nous devons nous départir !
En existant ne pas seulement vieillir.
Encerclés de femmes-visages qui se taisent,

Maintenant et une fois au moins à notre aise
Nos lèvres porteront la couleur du coeur : carmin
Et parleront notre dialecte humain.

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

Vor dem Winter

In Landschaft mit dem armen schwarzen Klee
Krümmt sich der Schnellzug an den hellen Schienen.
Da fährt das Frauenantlitz im Coupé.
Vom schnellen Sonnenuntergang beschienen.

Bäume passierend, redend. Es wird Wind.
Der Himmel jagt die Ebene zu Ende.
Man hat das Häuserne und fühlt sich blind,
Der kleine Tag weint in die hellen Hände.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 4, Jg. 1914, Nr. 48/49 (5. Dez.)

Literaturcafé

Wortwarenladen, wo es gurrt und murrt:
Des Hauses Echo, das hier Ego schreit:
Der Literat oder die Eitelkeit:
Das fürbaß schwatzende Gehirn Hans Wurst.

Es redet stets und muß beisammen sitzen.
Ist hier einer, der Zorn empfand und schrie!
Ihr richtet lieber Worte ab zu Witzen
Und äfft die Hölle mit Analgesie.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 4, Jg. 1914, Nr. 34/35 (29. Aug.)

Erläuterungen:
Analgesie. Schmerzlosigkeit.


Café Littéraire

Ça gronde, ça roucoule, dans la boutique à paroles :
Il crie « Ego ! », l’écho de la maison ;
L’homme de lettres ou la prétention :
Cet inlassable verbiage du cerveau guignol.

Ça se rassemble, ça raconte toujours.
Y en a-t-il aucun pour crier, ressentir la colère !
Vous aimez mieux dompter ein blagues les discours,
Mais avec des sédatifs vous singez l’enfer.

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

In der Natur

Über die Erde wehen Farbenböen,
Ein Schwarm von Feldern, der sich niederläßt.
Die Morgen gehen über: Ost bis West
Sausen die Farben. Erde blüht sich schön.

Zwischen den Sommer drängt und drängt Geschick.
Ob Roggenherden schmerzfrei galoppieren?
Die Schwester Muskel kommt, berauscht von Tieren,
Voller Tierschritte, das Geschlecht im Blick.

Den Mund voll Sonne, Hände sind Blutfetzen.
Man merkt es: man ist innen nasses Blut.
Die Frauen trocknen nicht das Herz für jeden.

Bis in die Zehen krümmt sich eine Wut
Zu reden: DU zu schaffen in den Sätzen
Eine der Felderbestien anzureden!

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 4, Jg. 1914, Nr. 31 (1. Aug.)

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