Linden

Mit Wald gepudert und Laternenschein,
Schreiten die Linden und ein paar Platanen
– Unter den Bäumen sind sie Kurtisanen –
Den Mädchenstrom Kurfürstendamm hinein.

Ihr Wäldermädchen mit den Laubfrisuren –
Man muß wohl Wind sein, um euch zu umarmen.
Hübsche Dryaden, träumt ihr von den Farmen
Am Strom und Wiesen zwischen Weizenfluren?

Den Pfeil von Glühlicht in dem grünen Haar,
Aha! Ihr seid schon elegant geworden,
Jüdinnen, – die ich liebte, ein Barbar,

Im Blut Unwetter und den wilden Norden.
Es schien der Mond, verlor sich ohne Rest,
Jetzt liegt er da, ein Ei, im Wolkennest.

Erstveröffentlichung: „Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

Erläuterungen:
Dryaden. Begriff der griechischen Mythologie für Baumnymphen


Tilleuls

Poudrés de forêts et de réverbères
Entrent les tilleuls et quelques platanes
—Parmi les arbres ce sont des courtisanes —
Avenue des Ėlecteurs, flot de jeunes filles.

Nymphes des forêts avec vos coiffes de feuilles —
L’on doit être le vent pour vous embrasser.
Jolies Dryades, rêvez-vous de fermes bordées
De fleuves et de prés entre les champs de blé?

La flèche d’éclat dans vos cheveux verdis,
Ah ! vous voilà élégantes déjà,
Juives, — que j’ai aimées, ce barbare, moi,

Dans mon sang la tempête et le nord sauvage.
La lune luisait, sans traces elle se perdit,
Maintenant gît là, un oeuf dans son nid de nuages.

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions des poèmes de Paul Boldt)

Mädchennacht

Der Mond ist warm, die Nacht ein Alkohol,
Der rasch erglühend mein Gehirn betrat,
Und deine Nacktheit weht wie der Passat
Trocknend ins Mark.

Du hast ein weißes Fleischkleid angezogen.
Mich hungert so – ich küsse deine Lippen.
Ich reiße dir die Brüste von den Rippen,
Wenn du nicht geil bist!

– Küsse sind Funken, elektrisches Lechzen
Kupferner Lippen, und die Körper knacken!
Mit einem Sprunge sitzt mein Kuß im Nacken
Und frißt dein Bäumen und dein erstes Ächzen.

Und als ich dir die weißen Knie und,
Dein Herz verlangend, allen Körper küßte,
Geriet mein Schröpfkopf unter deine Brüste;
Da drängte sich das Herz an meinen Mund.

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

Tiergarten

Birken und Linden legen am Kanal
Unausgeruhtes sanft in seinen Spiegel.
Ins Nachtgewölbe rutscht der Mond, ein Igel,
Der Sterne jagt und frißt den Himmel kahl.

Mädchen sind da, und wir sind sehr vergnügt.
Ich schmeiße nach dem dicken Mond mit Steinen;
Die Betty küßt mich, und er soll nicht scheinen,
Weil Bella schweigt und naserümpfend rügt.

Die Sommerstädte liegen um den Park.
Es wird sehr hübsch! Der Süden wandert ein!
Die Sonne wächst! Wie nackte Männer stark

Schreiten die Tage, Frühjahr in den Hüften.
Die schwarzen Linden kommen überein,
Morgen zu grünen in den süßen Lüften!

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

Die Sintflut

Die Wolken wachsen aus den Horizonten
Und trinken Himmel mit den Regenhälsen.
Die Menschen bissen auf den höchsten Felsen
In weiße Stirnen, die nicht denken konnten,

Daß Läuse aus dem Meer, die See, krochen.
Im Abendsturm ertranken lange Pappeln.-
Sie hörten auf der Nacht die Sterne trappeln,
Die in dem All den warmen Erdrauch rochen,

Dann schwamm die Sonne in dem glatten Wasser.
Das Wasser fiel. Die See faulten ab.
Die Erde trug der Meere hellen Schurz.

Die Sterne standen, von Begierde blasser,
Mit dünnem Atem an des Ostens Kap.
Ein Stern sprang nach der Erde, sprang zu kurz.

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

2. Aufl. 1918, Z. 5 & 10 = Seen


The Deluge

From where the sky begins, the clouds ascend
And drink the heavens with their throats of rain.
Atop the highest rocks, the people strained
To bite blanched wits that could not comprehend

How lice could creep out of the sea, as lakes.
In last night’s storm, the tallest poplars drowned.—
They heard the stars cross night with tripping sounds
And sniff in space the scent of earth’s warm haze.

The sun then swam in water without waves.
The waters fell. The lakes all ebbed away.
Earth wore the lucent apron of the sea.

The stars stood faint, deprived of what they craved,
With raspy breath above the Eastern Cape.
One star sprang at the Earth, but missed its prey.

Lyrics by Paul Boldt in English Translation
by Daniel J. Webster


Le déluge

De tous les horizons des nuages grandissent
Et de leur cous de pluie le ciel engloutissent.
Des êtres humains sur les plus hauts rochers
Mordent des fronts blancs qui ne peuvent imaginer

Que rampaient les poux, les lacs, de la mer.
La tempête du soir noyait les peupliers.
Ils entendirent les étoiles sur la nuit piétiner
Flairant de l’espace la chaude odeur de la terre.

Puis le soleil flotta sur des eaux étales.
L’eau baissa. Les lacs croupirent.
La terre portait de la mer le tablier pâle.

Blafardes d’envie, les étoiles debout,
Cap à l’est faiblement respirent.
L’une saute vers la terre, trop court.

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

Adieu Mädchenlachen!

Sie nehmen Abschied, werden nicht vergessen
Die Wege, die sie jetzt gehn – du und ich,
Zwei Lächeln nur, mit denen sich
Apokalyptische Gesichte messen.

O fälschte doch mein sicheres Gesicht!
Die Furcht läuft in die Zukunft und sieht mutig,
Da liegst du, abgeküßt und schenkelblutig:
– Mein Hirn bellt auf – brautnackt im Ampellicht.

Die Schmerzen beißen sich in das Hirn hinein.
Was martert, mordet nicht mein wilder Freisinn!
O meine Mutter, weißhändige Greisin,
Nimm mich zurück ins Nichtgeborensein!

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)


Adieu, sourires de jeunes filles!

Ils se séparent, ne pourront oublier
Les chemins qu’ils suivent  à l’instant.
Toi et moi, deux sourires seulement
Aux visions d’apocalypse mesurées.

Ô si seulelement se trompait ce que sûrement je sens !
L’effroi court dans l’avenir avec courage.
Tu gis là, écrasée de baisers, les cuisses pleines de sang :
Mon cerveau aboie; épousée sous l’éclairage.

Les dents des douleurs dans le cerveau plantées,
Ce qu’il ne torture pas, tue pas, mon sauvage esprit libertin !
Ô ma mère, aieule aux blanches mains,
Ramène-moi où je n’étais pas né !

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

Proserpina

Einsamer Pluto trage ich im Blute
Proserpina, nackend, mit blonden Haaren.
Unauslöschbar. Ich will mich mit ihr paaren,
Die ich in allem hellen Weib vermute.

Ich bin von ihren Armen lichtgefleckt
Im Rücken! Ihre Knie sind nervös,
Die Schenkel weiß, fleischsträhnig, ein Erlös
Des weißen Tages, der die Erde deckt.

In ihrem Haar bleibt etwas vom Verwehten
Des warmes Bluts. Ich liebe den Geruch!
Und nur die Zähne haben zuviel Fades,

Wie ein Schulmädchen, sooft sie in den Bruch,
Den Brunnen ihres Frauenmundes treten,
Der meine Brünste tränkt – Herden des Hades.

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

Erläuterungen:

Proserpina. Lateinischer Name der griechischen Göttin Persephone.

Pluto. Aus der griechischen Mythologie stammend: Beiname des Gottes Hades; Gott des Reichtums und des Überflusses | Der heute als Zwergplanet bezeichnete Himmelkörper Pluto wurde erst 1930 entdeckt.

Guten Tag – helle Eva!

Ich wollte mit dir jungem Weibe leben
Gern wie der Sturm auf einem hellen Meer,
Daß deine Hände sich wie Möwen heben.
Wie Strudel leuchten deine Brüste sehr.

Dein Fleisch ist Schnee, und schneereich bist du wie
Russische Winter. Mondrot leuchtet, blond,
Dein Haarkorb an des Nackens Horizont –
Du nackend Weib, du weiße Therapie!

Lange behielt ich deine Witterung
Und jagte hitzig hinter Dirnenrudeln,
Lustkrank, von Qual beweht. Doch du bliebst jung.

Auf deinen Rippen kreisen weiße Strudel;
Du bist ein Weib geworden – puh – fruchtbar,
Du blanker Bauch voll Blut und krautigem Haar.

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

Nordwind im Sommer

Vom Meere duftend fliegt der Wind ins Land.
Die dunklen Parke flattern in der Brise.
Kleehügel blühen vor dem Duft der Wiese;
Der Himmel steht, sich selber unbekannt,

Ein weißer Fischer in den Roggenmeeren,
Wo Taubenflug aufspritzt, ein Wasserstrahl,
Wo Wolkenschatten rinnen in das Tal,
Fliegende Fische sind – die Roggenähren.

Der Weißklee schmeißt den Junitag zur Seite,
Und manchmal fliegen Reiher um den stummen,
Fischlosen See, auf dem die Bienen summen,
Und nehmen zögernd ihren Flug ins Weite.

Ich galoppiere vor dem Sonnenschein,
Auf weißem Pferde flatternd, Wind geworden,
Und Sonnenfetzen um den Hals, nach Norden.
Ich werde mittags an dem Meere sein.

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)


North Wind in the Summer

Sea-scented wind flies up into the land.
The darkened parklands flutter in the breeze.
And clover hills breathe meadow’s fragrancies.
The sky, unconscious of its act, now stands,

A pale-white angler in a sea of rye,
Where aqua-jets arise as flights of doves,
Where clouds run into valleys from above
The rye—whose heads bend like those fish that fly.

White clover shoves this day in June aside.
At times, some herons fly about the dumb
And muted lake devoid of fish. Bees hum
Above its face, then leave in listless flight.

I gallop under sun on my white steed,
And floating, so become the northward wind.
With shreds of sun about my neck, I wend
My way. By noon, I will have reached the sea.

Lyrics by Paul Boldt in English Translation
by Daniel J. Webster

Das Wiedersehen

Wie warnend leuchten schwarze Fensterscheiben.
Mystische Telefone knacken, knacken -:
Dastehst du nahe mit beweinten Backen,
Plastik aus Rauch.
Ich drehe angstvoll mein Gesicht zum Nacken
Und steige zitternd aus aus euren Häusern.

Sind das die Häuser? Ist die Nacht aus Stein?
Ich mache langsam Schritte in Berlin.
Kein Mensch. Herabgestürzte Jalousien.
Ich habe keinen Wunsch, einer zu sein.

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

Weichsel

Ein Thema: Weichsel; blutsüßes Erinnern!
Der Strom bei Kulm verwildert in dem Bett.
Ein Mädchen, läuft mein Segel aufs Parkett
Aus Wellen, glänzend, unabsehbar, zinnern.

In Obertertia. Julitage flammen,
Bis du den Leib in helle Wellen scharrst.
Die Otter floh; mein weißes Lachen barst
Zwischen den Weiden, wo die Strudel schwammen.

Russische Flöße in den Abend ragend.
Die fremden Weiber, die am Feuer sitzen,
Bewirten mich: Schnaps und gestohlener Speck.

Wir ankern und die Alten bleiben weg.
Die Völlerei. Aus grausamen Antlitzen
Blitzt unser Blick, ins Weiberlachen schlagend.

 

JP JP 3

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

Erläuterungen:
Kulm.  Stadt an der Weichsel in der Nähe des Geburtsorts von Paul Boldt


The Vistula

A theme: this River; blood-sweet memory!
At Kulm, it goes back to its savage roar.
My sail—a girl—spreads on a parquet floor
Of pewter waves that shine immeasurably.

My fifteenth year. July bursts into flames
Of hell-bright waves, in which your body’s immersed.
The viper’s flown; my whitened laughter bursts
Among green fields where currents flowed, untamed.

Some Russian rafts then pierce the end of day.
And unknown women sit by campfires there,
Their schnapps and stolen bacon mine for the taking.

We anchor while the old ones stay away.
We gorge upon each other, but fiercely stare
At this: the sound of women’s laughter breaking.

(Comment: The Vistula is a major river running through
what was the West Prussian  countryside of Paul Boldt’s youth.
It is in present-day Poland. And Kulm,  mentioned in line two, is
the German name for what is now the Polish city of  Chelmno.)

Lyrics by Paul Boldt in English Translation
by Daniel J. Webster

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